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Bedenken gegen das bekannte Herzmittel Digitalis

Von Gerlinde Felix 

Das Medikament Digitalis wird bei Vorhofflimmern und Herzschwäche eingesetzt. Doch bisher fehlen aussagekräftige klinische Studien zu seiner Wirkung. Eine Übersichtsarbeit aus Frankfurt warnt nun: Womöglich erhöht Digitalis das Sterberisiko.

Die Arznei Digitalis wird vor allem beim Vorhofflimmern des Herzens eingesetzt. Foto: dpa
Die Arznei Digitalis wird vor allem beim Vorhofflimmern des Herzens eingesetzt.Foto: dpa

Stuttgart - Wolliger Fingerhut (Digitalis lanata) und Roter Fingerhut (Digitalis purpurea) sind seit langem für die Herzmedizin von Bedeutung. Werden doch die beiden Medikamente Digoxin aus dem wolligen und Digitoxin aus dem roten Fingerhut gewonnen. Die in den Pflanzen enthaltenen Digitalisglykoside werden zur Behandlung der Herzinsuffizienz, umgangssprachlich als Herzschwäche bezeichnet, eingesetzt. Noch häufiger dienen sie zur Therapie des Vorhofflimmerns, einer vor allem im Alter verbreiteten Herzrhythmusstörung (siehe 2. Seite).

 

Rund ein Drittel aller Patienten mit Vorhofflimmern werden mit Digoxin & Co behandelt. Die Digitalisglykoside verlangsamen den Puls, um die Stoffwechselbelastung des Herzens zu reduzieren, und unterstützen das schwache Herz, indem sie dessen Schlagkraft stärken. In der Herzmedizin galten Digitalis-Präparate lange als Heilbringer. Sie wurden aber nie in einer gründlichen Arzneimittelstudie getestet. In den vergangenen fünf Jahren gab es nun einen Paradigmenwechsel. „Wurden früher die Betablocker eher kritisch beäugt und Digitalis-Präparate wie das Digoxin hochgelobt, sind es heute die Betablocker, die an erster Stelle stehen und die Digitalis-Präparate verdrängt haben“, erzählt Stefan Hohnloser, der am Universitätsklinikum Frankfurt die Abteilung Elektrophysiologie leitet. Schon seit einiger Zeit würden Digoxin & Co nur noch als Reservemedikamente betrachtet. Man hat nämlich festgestellt, dass Digitalis-Präparate Herzrhythmusstörungen verursachen und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten auftreten. „Der Nutzen von Digitalis-Präparaten wurde auch etwas überschätzt“, kritisiert Hohnloser. „Digitalis kann bei Patienten nur im Ruhezustand die Herzfrequenz kontrollieren. Bei Belastung ist das Digitalis relativ wirkungslos.“

Bisher gibt es nur wenige aussagekräftige Studien

Hohnloser hat nun die Ergebnisse aus 19 Studien aus den Jahren 1993 bis 2014 zusammengetragen und ausgewertet. Seine Übersichtsarbeit,  die im Fachblatt „European Heart Journal“ erschienen ist, schließt die Daten von mehr als 326 000 Patienten ein und bestätigt die Strategie, immer weniger Digoxin und Digitoxin einzusetzen: Die Sterblichkeit von Patienten mit Vorhofflimmern und Herzinsuffizienz ist um durchschnittlich 21 Prozent höher, als dies bei Patienten ohne diese Medikamente der Fall wäre. Bei Vorhofflimmern war das relative Risiko um 29 Prozent erhöht, bei der Herzinsuffizienz um 14 Prozent. „Ein um mehr als 20 Prozent erhöhtes Sterberisiko ist schon erheblich“, sagt Hugo Katus, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie des Universitätsklinikums Heidelberg.

Digitalis-Präparate scheinen also – wie bereits befürchtet – insbesondere bei Patienten mit Vorhofflimmern das Sterberisiko zu erhöhen. „Zusätzlich gibt es Wechselwirkungen von Digoxin und Digitoxin mit anderen Medikamenten“, warnt Katus. Dass Digitalis-Präparate kritisch zu sehen sind, steht für ihn außer Frage. Er bedauert jedoch, dass es bisher nur eine randomisierte Studie zur Wirkung dieser Medikamente gibt: Bei solchen Experimenten erhalten die Patienten nach dem Zufallsprinzip entweder ein Digitalis-Präparat oder ein anderes Mittel. Bei allen anderen Studien sei bloß verfolgt worden, was nach der Einnahme von Digitalis-Präparaten geschehen ist. In solchen Untersuchungen bleibt offen, ob nicht andere Faktoren wie etwa das Alter der Patienten das Ergebnis beeinflussen. Zudem seien Wirkstoffspiegel im Blut nicht gemessen und die Dosis nicht kontrolliert worden, kritisiert Katus.

In einigen der analysierten Studien gab es keinen Zusammenhang zwischen Digitalis und erhöhter Sterblichkeit. Zuletzt hatte eine Anfang März  im Fachmagazin „Lancet“ veröffentlichte Studie bei 14 000 Patienten mit Vorhofflimmern, die mit Digoxin behandelt wurden, ein erhöhtes Sterberisiko festgestellt. „Die Lancet-Studie gelangte zu den gleichen Ergebnissen wie die Metastudie“, so Hohnloser.

Eine weitere Studie ist aber bereits angelaufen

Hohnlosers Studie verdeutliche, wie nötig es sei, alle Medikamente einer kritischen Prüfung zu unterziehen, sagt Katus. Beide Mediziner sehen die Notwendigkeit einer qualitativ hochwertigen und damit aussagekräftigen Studie zu Digitalis bei Vorhofflimmern und Herzschwäche, die an der Medizinischen Hochschule Hannover auch bereits angelaufen ist. Diese Studie soll laut Katus klären, ob Digitalis im optimiert niedrigen Dosierungsbereich auch Nebenwirkungen hat. Die Digitalis-Spiegel werden deshalb regelmäßig gemessen. „Das wäre auch im klinischen Alltag wünschenswert, aber da wird es bislang oft nicht gemacht“, sagt Hohnloser.

Sowohl Hohnloser wie auch Katus sagen klar: „Die behandelnden Ärzte sollten vorsichtig sein und Digitalis nur dann verschreiben, wenn es wirklich nötig ist, denn es kann mit einem erhöhten Sterberisiko verbunden sein.“ Sie sprechen sich aber dagegen aus, dass Patienten ihre Digitalis-Präparate nun einfach absetzen. Jeder Betroffene sollte erst mit seinem Arzt über die individuelle Problematik sprechen. „Die Entscheidung, ob Digitalis oder nicht, muss individuell getroffen werden“, sagt Katus. „Patienten mit Vorhofflimmern, die einen Defibrillator haben, sind beispielsweise gegen Digitalis-verursachte Herzrhythmusstörungen geschützt. Auch dann, wenn die Pumpleistung des Herzens sehr schlecht ist, kann ein Digitalis-Präparat trotz des erhöhten Risikos für Rhythmusstörungen zu einer Verbesserung der Herzinsuffizienzsymptome führen.“

Und Betablocker? „Betablocker sind bei Herzschwäche und bei Vorhofflimmern mit schnellem Puls immer die bessere Option, weil sie nachweislich die Überlebensrate um bis zu 30 Prozent verbessern und den Puls auch bei körperlicher Belastung verlangsamen“, sagt Katus. Allerdings könnten Betablocker bei Patienten mit schwerer Herzschwäche ein Problem sein, wenn diese Patienten wegen der Herzschwäche niedrige Blutdruckwerte haben. Denn Betablocker senken den Blutdruck zusätzlich ab, was bei schon bestehendem niedrigem Blutdruck starken Schwindel und Gangunsicherheit verursachen kann. Aber für viele andere Patienten sind Betablocker laut Katus eine gute Lösung.

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